Moschee gescheitert. Problem gelöst?

Offener Brief der Jugendgruppe der Linken Charlottenburg-Wilmersdorf an die Einwohner rund um den Mierendorffplatz

Fast ein Jahr lang wurde heftig über den vom muslimischen Verein Inssan geplanten Bau eines Kulturzentrums mit Moschee in der Keplerstraße beim Mierendorffplatz diskutiert. Anwohner warfen Inssan Kontakte zu verfassungsfeindlichen Fundamentalisten vor und befürchteten ein „Kippen“ ihres Kiezes. Inssan selbst erblickte in der Kritik Islamophobie, verwies auf ihre Ablehnung jeder Form von Gewalt, Terrorismus, Zwangsehen und Fundamentalismus. Rechtsextremisten nahmen jedoch freudig diese Gelegenheit wahr und bemühten sich, die Fronten und Ängste so weit wie möglich zu vertiefen.

Urplötzlich und überraschend wurden nun vollendete Tatsachen geschaffen. Der Inhaber des Grundstücks beim Mierendorffplatz verkaufte an einen Dritten, da Baustadtrat Gröhler (CDU) die Bearbeitung der Bauanfrage von Inssan immer weiter verzögert hatte. Ob und wo die Moschee jetzt noch gebaut werden kann, ist völlig unklar. Für den Mierendorffkiez scheint sich das Thema jedenfalls erledigt zu haben. Sind damit aber auch alle Probleme gelöst? Oder war das Thema nicht nur Ausdruck eines viel größeren Konflikts?

Muslimische Mitbürger werden auch weiter¬hin erwarten, dass ihre Kultur, ihr Glauben und ihr Recht auf freie Religionsausübung respektiert bleibt. Gleichzeitig werden sich auch die nichtmuslimischen Deutschen dem Zusammenleben mit den vielen verschiede-nen Kulturen weiter stellen müssen. Gelöst sind bspw. weder Ängste von deutschen bürgerlichen Eltern, die ihre Kinder auf Schulen mit hauptsächlich sozial benachtei¬ligten Kindern aus Migrationsfamilien schi¬cken, noch Ängste von Migranten, die fürchten, ins soziale Abseits gedrängt zu werden.  Ist das gegenseitige Misstrauen nicht sogar stärker worden? Das Ganze ist für uns mehr als alarmierend. Denn gegenseitiges Misstrauen, Ängste und Ressentiments sind der ideale Nährboden für Extremisten, die versuchen Stimmung gegen „die Anderen“ zu ma¬chen.

Wir wenden uns mit diesem Brief direkt an Sie. Bitte fragen Sie sich, wie Sie das soziale Zusammenleben in unserem Bezirk, wie Sie die Gefühle und Interessen anderer Kulturen hier beurteilen. Welche Fragen beschäftigen Sie persönlich? Noch besser: Teilen Sie uns Ihre Ansicht mit! Wir sind der Überzeugung, dass nur ein breiter auf Toleranz und Respekt beruhender Dialog zwischen den Kulturen das Verständnis für- und die Solidarität zueinander stärken kann. Statt den gegenseitigen Kontakt und Einfluss zu fürchten muss der Bau einer Moschee, einer Synagoge oder einer Kirche als gemeinsames Anliegen des Bezirkes wahrgenommen werden, als Gewinn für die kulturelle Vielfalt, Ausdruck des Respekts untereinander und als Stärkung des interkulturellen Dialoges.