Basisorganisation "Charlotte" gegründet

Als dritte Basisorganisation im Bezirksverband Charlottenburg-Wilmersdorf hat sich die Basisorganisation (BO) "Charlotte" am 08. Dezember 2009 gegründet.

Charlottenburg gilt immer noch als „vornehmer“ Berliner Bezirk - geprägt von zahlreichen Klischees, die dem Stadtteil zugeschrieben wurden und werden. Von der königlichen Stadtgründung nebst Schlossbau bis zur Funktion als „Schaufenster des Westens“ am Bismarckschen Ku’damm war Charlottenburgs Ansehen und Geschichte bürgerlich geprägt. Die große russische Exil-Gemeinschaft in den 20er Jahren bescherte dem Viertel den Spitznamen „Charlottengrad“; die starke jüdische Gemeinde und die lebendige Theater- und Literaturszene („Romanisches Café“) gaben diesem Mosaik den Flair des „goldenen Westens“.

Doch hat Charlottenburg auch eine andere Tradition. Zwischen königlichem Jagdrevier (Tiergarten), dem Schloss und den großbürgerlichen Neubauquartieren Westend und Kurfürstendamm entstanden in den Gründerjahren auf sumpfigem Gelände einfachste Wohngebiete, die den Arbeitern von Siemens und anderen Industriebetrieben zugedacht waren.

Heinrich Zille ist berühmt geworden wegen seiner schonungslosen Darstellung der damaligen Wohn- und Lebensverhältnisse in Berliner Arbeiterquartieren; und – es mag überraschen – er fand diese „Motive“ in Charlottenburg.

Seinerzeit erwarben sich die Straßenzüge zwischen Sophie-Charlotten- Straße, Ernst-Reuter-Platz, Spree und Bismarckstraße den Beinamen „Kleiner Wedding“. Kommunisten und Sozialdemokraten wurden hier nicht nur gewählt, sondern waren vor Ort stark organisiert. Sogenannte „Häuserschutzstaffeln“ schützten zunächst Mieter vor Zwangsräumungen, spätestens seit 1930 dienten sie der Selbstverteidigung gegen Übergriffe der SA und anderer rechter paramilitärischer Gruppen. Nicht zufällig wütete genau hier der berüchtigte „SA-Sturm 33“ („Mörder-Sturm“) mit tätlichen und tödlichen Angriffen auf links denkende Menschen. Der im Untergrund geschriebene und 1934 im Ausland veröffentlichte Tatsachen-Roman über den Widerstand in Charlottenburg von Jan Petersen „Unsere Straße“ (1933) zählt für die Zeit vor der „Machtergreifung“ sieben, für die 18 Monate danach elf ermordete Linke.

Auch nach dem Krieg blieben die Kieze „unbürgerliches“ Wohngebiet. Da die Altbaublöcke aus Zilles Zeiten zu eng und zu dunkel gebaut waren, blieben sie „Billigwohngebiet“. Einfache Neubauten verstärkten diese Strukturen; erst in den 70ern regte sich Widerstand gegen eine „Sanierung“ des Viertels durch Abriss: Häuser wurden besetzt. Schließlich wurden die einfachen Gründerzeitbauten am Klausenerplatz-Viertel „sanft saniert“: Die Menschen konnten im Kiez bleiben.

Der „Kleine Wedding” ist bis heute ein Schmelztiegel der Kulturen, hier leben Menschen unterschiedlichster Herkunft; die ehemalige Hausbesetzer- Szene, aber auch die Studenten- und Lehrlingsbewegung vergangener Jahre haben ihre Spuren hinterlassen.

Daher sind Klausenerplatz- und Zille-Kiez nicht wirklich typisch für das Bild von Charlottenburg. Die lokale Geschichte linker Politik scheint vergessen, nur sind soziale Probleme - Prekarisierung, Altersarmut oder Gentrifizierung - spür- und sichtbarer als anderswo im Bezirk:

Im Bereich der BO gibt es kaum verarbeitendes Gewerbe und Industrie. Aber hier leben und arbeiten viele Kreative - auch der Museen und Universitäten wegen. Zusammen mit den unterschiedlichen Kulturen prägen sie das Bild der Kieze. Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft stellen neue Aufgaben und erfordern differenzierte Lösungen. Die Kieze unser künftigen BO sind seit langem weltoffen und lebendig (siehe Kiezbündnisse, Künstlerinitiativen ...) - angesichts der zu erwartenden Tigerenten-Veränderungen bedürfen diese bürgerdienlichen Initiativen Unterstützung und neuer Impulse.

Wir wollen uns in der BO daher einigen Kernfragen stellen:
- Bürgerrechte,
- Integration,
- Wirtschaft, insbesondere Kulturwirtschaft,
- Kultur

Wir freuen uns über alle, die kommen wollen - selbstverständlich auch aus anderen Kiezen. Lasst uns solidarisch und inhaltlich richtungsweisend miteinander Politik machen!