Eine Atmosphäre des allgemeinen Drucks

Von der Notwendigkeit, den Sanktionsparagraphen bei Hartz IV abzuschaffen... von Katja Kipping

Eine Arbeit konnte ihm die Bundesagentur nicht anbieten - dafür aber einen Ein-Euro-Job. Der junge Mann nahm daran teil, auch wenn der Sinn der dort ausgeübten Tätigkeiten fragwürdig blieb. An dem Tag allerdings, an dem sein Kind geboren wurde, blieb er der Maßnahme fern. Schließlich wollte er bei der Geburt dabei sein. Wenige Tage später musste er feststellen, dass ihm die Bundesagentur sein komplettes Arbeitslosengeld II gestrichen hatte. Da er noch jünger als 25 Jahre war, galt bei ihm die verschärfte Regelung des Sanktionsparagraphen 31 im Sozialgesetzbuch II. Demnach bei Unter-25-jähringen schon bei einer Verfehlung sofort das gesamte Geld gestrichen wird und bei einer zweiten auch die Kosten der Unterkunft. Bei Bedürftigen, die älter sind, wird zuerst der Regelsatz um 30 Prozent, bei der zweiten Unstimmigkeit um 60 Prozent gekürzt und im dritten Schritt komplett entzogen.

Diese Sanktionslogik gehört neben dem schnellen Fall in die Armut zum Grundcharakter von Hartz IV. Obwohl der Hartz-IV-Regelsatz nach Auffassung der Bundesregierung lediglich das soziokulturelle Existenzminimum darstellt, also das, was unverzichtbar ist zum Menschsein, kann es schnell gekürzt bzw. ganz entzogen werden. Angeblich geht es bei Sanktionen darum, die Eigenverantwortung zu erhöhen. In der Praxis erfüllt der Sanktionsparagraph andere Funktionen. Er wirkt disziplinierend – auf Arbeitssuchende und Beschäftigten gleichermaßen. Wer weiß, Erwerbslosigkeit bedeutet auch, Schikanen ausgeliefert zu sein, ist weniger bereit, seine Rechte gegenüber dem Chef durchzusetzen bzw. nimmt bei einem neuen Job niedrige Löhne in Kauf. Zum zweiten bieten die Sanktionen Einsparpotential. Alle lokalen JobCenter müssen sich gegenüber der Spitze der BA in Nürnberg verpflichten, jedes Jahr bei den Grundsicherungsleistungen einen festen Prozentsatz einzusparen – und das unabhängig davon, ob die Zahl der Bedürftigen steigt oder sinkt. Der Einsatz von Sanktionen kann insofern schon auch mal helfen, dem Einspardruck aus Nürnberg zu entsprechen.

Eine aktuelle Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), bestätigte nun, dass die Wirkung von Sanktionen mehr als fragwürdig ist. Laut dem IWH verfolgen Sanktionen im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch primär das Ziel „eine allgemeine Atmosphäre des Drucks zu erzeugen, in der die Konzessionsbereitschaft von Erwerbslosen gegenüber potenziellen Arbeitgebern erhöht wird“. Angesichts dieser Interessenlage ist es kein Wunder, dass die Zahl der gegen Hartz IV-Beziehende verhängten Sanktionen auf hohem Niveau konstant geblieben. So wurden 2008 rund 780.000 Sanktionen im Bereich Hartz IV verhängt.

Verschärfend kommt – so das IWH – hinzu, dass Sanktionen vielfach einer rechtlichen Überprüfung nicht standhalten. In einer Antwort auf eine Anfrage der LINKEN musste dies die Bundesregierung kürzlich bestätigen. Immer mehr Sanktionen und Sperrzeiten müssen aufgrund von erfolgreichen Widersprüchen und Klagen zurückgenommen werden. Der Anteil der Sanktionen, die aufgrund von Widersprüchen von den Ämtern ganz oder teilweise zurückgenommen werden mussten, stieg von 37,9 Prozent im Jahr 2007 auf 41,5 Prozent im Jahr 2008. Gerichtliche Klageverhandlungen führten im Jahr 2007 in 51 Prozent der Fälle zum Erfolg, entweder durch Urteilspruch oder durch Nachgeben der Ämter. Im Jahr 2008 sogar 65,3 Prozent. Im Klartext, inzwischen sind zwei Drittel der Klagen ganz bis teilweise erfolgreich.

Diese hohe Zahl der erfolgreichen Widersprüche und Klagen gegen Sanktionen bei Hartz IV deutet das Ausmaß von Willkür und Missbrauch bei der Verhängung von Sanktionen an. Es ist ein Skandal, dass vielen Betroffenen rechtswidrig die ohnehin viel zu geringe existenzielle Absicherung vorenthalten werden. Zudem zeigen diese hohen Erfolgsquoten auch: Es lohnt sich, sich zu wehren und auf den Ämtern für seine Rechte zu kämpfen. Inzwischen gibt es in vielen Städten Begleitschutz. Wonach Erwerbslose sich untereinander vernetzen und sich gegenseitig begleiten, damit keiner alleine zum Amt muss. DIE LINKE hat aus all diesen Erfahrungen den richtigen Schluss gezogen. Sie spricht sich in ihrem Wahlprogramm für die sofortige Abschaffung des Sanktionsparagraphen 31 im SGB II aus.