LINKE Politik in Charlottenburg-Wilmersdorf

Sozialpolitische Herausforderungen im Alltag. Interview mit den Mitgliedern der Linksfraktion in Charlottenburg-Wilmersdorf.

Die sozialen Probleme in unserem Land verschärfen sich von Monat zu Monat. Zu dem jahrelangen Sozialabbau gesellt sich nun noch die Finanzkrise. Viele Menschen verbinden mit der LINKEN große Hoffnungen im Hinblick auf die soziale Lage. Wird DIE LINKE dem gerecht? Kein Politiker ist näher am Bürger als ein Kommunalpolitiker. In unserem Bezirk ist DIE LINKE seit Beginn des Jahres gestärkt in der BVV vertreten. Nach dem Wechsel von Wolfgang Tillinger zur LINKEN bilden die drei Bezirksverordneten eine Fraktion.

Viele Menschen weisen den LINKEN vor allem sozialpolitische Kompetenzen zu. Welche Möglichkeiten haben Bezirksverordnete hier zu wirken?
Hans-Ulrich Riedel: Mit dem, was einer Partei an politischen Kompetenzen zugetraut wird, soll man vorsichtig sein. Es sind ja vermutlich dieselben Menschen, die der CDU eine besonders hohe Kompetenz in der Wirtschaftspolitik zutrauen – warum eigentlich?
Richtig ist vielmehr, dass sozialpolitische Kompetenz eine Frage der Grundeinstellung ist. Ein Bezirksverordneter, der ja viel dichter an den Alltagsproblemen der BürgerInnen dran ist als etwa ein Bundestagsabgeordneter, wirkt immer sozial – oder gar nicht.
Auch Fragen der Städtebauplanung oder der bezirklichen Wirtschaftsförderung müssen meiner Meinung nach unter sozialen Gesichtspunkten gesehen und entschieden werden. Das ist ja letztlich auch der Inhalt der Lokalen Agenda 21 – die Frage der Nachhaltigkeit von politischen Entscheidungen betont die soziale Komponente immer neben ökonomischen und ökologischen Anforderungen!

DIE LINKE ist nun mit einer Fraktion in der BVV Charlottenburg-Wilmersdorf vertreten. Der Fraktionsvorsitzende heißt Hans-Ulrich Riedel. Welche neuen Chancen ergeben sich daraus?
Hans-Ulrich Riedel: Für mich ist ganz erstaunlich, wie wichtig die Position eines Fraktionsvorsitzenden genommen wird. Eigentlich war ich doch die letzten 26 Monate als fraktionsloser Bezirksverordneter derselbe Mensch mit derselben politischen Ausrichtung.
Tatsächlich gibt diese neue Funktion aber erweiterte Möglichkeiten in der Diskussion mit den Kommunalpolitikern anderer Parteien, mit Bürgerinitiativen und mit der Presse – auch und gerade hinsichtlich der sozialen Situation im Bezirk – in die Diskussion einzubringen. Dies führt erfahrungsgemäß zu positiven Veränderungen, weil andere – etwa SPD und Grüne – Schwierigkeiten damit haben, glaubwürdige Gegenargumente zu liefern.

Welche konkreten sozialpolitischen Initiativen werden gerade verfolgt?
Hans-Ulrich Riedel: Ich persönlich – und so verstehe ich die Frage – habe im Rahmen der neuen Geschäftsverteilung bestimmte Aufgaben abgegeben wie z. B. die Mitarbeit im Schulausschuss. Derzeit ist ein wichtiges Projekt die Umsetzung des sogenannten Konjunkturpaketes II mit dem Ziel, die Schulstrukturreform zu befördern. Hier ist auch ein besserer Bildungszugang für Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Familien sozialpolitisch von großer Bedeutung.
Hinzu kommen meine Tätigkeit als Beirat des Kinder- und Jugendparlamentes und die Initiative für ein selbstverwaltetes Jugendzentrum in Westend.
Letztlich geht es bei einer neuen Strategie für die bezirkliche Wirtschaftsförderung, die wir in den letzten Monaten mit einer großen Anzahl von Anfragen vorbereitet haben, auch um Arbeits- und Ausbildungsplätze – und die sind Grundlage für die soziale Entwicklung im Bezirk.

Menschen mit Migrationshintergrund sind eine wichtige Bevölkerungsgruppe. Welche speziellen sozialen Problemstellungen ergeben sich daraus?
Nurda Tazegül: Migranten bilden selbst keine homogene Gruppe. Sie sprechen unterschiedliche Sprachen, kommen aus anderen Kulturen und Religionen. Viele Migranten integrieren sich selbstständig. Einige sehen dies jedoch als erzwungen an und reagieren mit Abschirmung und häufig mit innerer und äußerer Aggression.
Dann natürlich die Ausländerfeindlichkeit und die Unwissenheit vieler Menschen über Migranten die zu Absonderung und damit deren Rückzug führen.

Diese Bevölkerungsgruppe ist besonders stark von Arbeitslosigkeit und damit auch von Hartz IV Bezug betroffen. Wo liegen hier mögliche politische Aktivitäten?
Nurda Tazegül: Besondere Aktivitäten liegen hier vor allem im Engagement für eine Migranten spezifische Bildungsarbeit. Diese sollte vor Ort erfolgen und die besonderen Belange dieser Gruppe berücksichtigen.
Insgesamt sind die Probleme, die Migranten hier haben, jedoch den Problemen aller Hartz IV-Betroffener sehr ähnlich.

Was konnte bisher sozialpolitisch erreicht werden. Was ist geplant?
Nurda Tazegül: Wir versuchen, den Alltag für Hartz IV Empfänger so weit wie möglich zu erleichtern. Unser Antrag, eine kostenlose Hotline beim JobCenter einzurichten, wurde von der BVV angenommen. Weitere Anträge und Anfragen z. B. zur Einrichtung einer Schiedsstelle und flexiblere Öffnungszeiten des JobCenters sind in Vorbereitung.
Wir setzen uns für bessere Bildungschancen in Schule und Ausbildung ein. Hier ist ein aktuelles Projekt, Einblick in die Auswertung der Eignungstests der Berliner Verwaltung zu bekommen, um zu schauen wo, wie und warum es Defizite bei den Jugendlichen gibt, um dann gezielt auf die Schulen zugehen zu können und Verbesserungen zu erreichen.
Kinderschutz wird für mich großgeschrieben. Ein Antrag von uns zum Thema „Kinderrechte und Kindsein“ hat das Ziel, Kinderrechte in der Berliner Verfassung zu verankern!

Durch den Übertritt des Verordneten Tillinger von den GRAUEN zur LINKEN konnte die neue Fraktion gebildet werden. Welche Gründe waren ausschlaggebend, den LINKEN beizutreten, welche Rolle spielte hierbei der soziale Bereich?
Wolfgang Tillinger: Ich komme aus der Arbeiterbewegung und habe meine ersten sozialen Erfahrungen als Jugendvertreter in der Gewerkschaft gesammelt. Als Anhänger des Demokratischen Sozialismus war meine politische Heimat die SPD. Dies wurde mit dem Nato-Doppelbeschluss von mir immer mehr in Frage gestellt. Das von Oskar Lafontaine initiierte Berliner Programm kam für meine Austrittsentscheidung Jahre zu spät. Im Kontext der weiteren Entwicklung der SPD, gerade durch Gerhard Schröder, Gott sei dank zu spät. In der heutigen Parteienlandschaft gibt es für mich mit meinem politischen Hintergrund keine Alternative zur DIE LINKE. Somit ist die Frage eigentlich falsch gestellt. Sie könnte heißen: Wie konntest du dich zu den GRAUEN verirren? Aber das ist ein anderes Thema.

Wie sieht die Zukunft aus. Welche sozialpolitischen Initiativen werden gerade verfolgt?
Wolfgang Tillinger: Nun, die Schulen sind noch lange nicht in dem Zustand den ich als leistungsfördernd betrachte. Das JobCenter ist in seiner zukünftigen Einbindung noch immer in einer Art Schwebezustand. Hier muss rechtzeitig auf die anstehenden Entscheidungen über die Zukunft der JobCenter eingegangen und Bestmöglichstes aus diesen Entscheidungen für die Betroffenen erreicht werden.
Die Privatisierung der KITAS darf nicht ausgeweitet werden. Das Problem der Tagesmütter muss mehr in den Blickpunkt gebracht werden. Die Jugendclubs müssen in ihrem Angebot und den Öffnungszeiten diskutiert werden.
Aber auch die Mitglieder der Partei, auch die der Arbeitsgemeinschaften, haben bestimmt Vorstellungen und Wünsche, die sie umgesetzt sehen wollen. Also diskutieren wir sie und suchen nach Wegen zur Umsetzung. Abschließend sei aber zur Fragestellung grundsätzlich eines klargestellt. Nicht ich verfolge Pläne im politischen Raum der BVV, sondern die Fraktion. Ich bringe meine Vorstellungen und Ziele ein und stelle sie der Beurteilung durch die Fraktion. Gemeinsam vertreten wir die Partei und keiner seine eigenen, persönlichen Ziele. Sozial ist für mich: „Gemeinsam als Partei unsere individuellen Ziele zu diskutieren und auf einen Nenner zu bringen, der umzusetzen ist zum Wohle möglichst vieler”.

Der Widerstand gegen Hartz IV ist ein wichtiges Thema bei der LINKEN. Welche Alternativen gibt es?
Wolfgang Tillinger:
Hartz IV ist menschenverachtend und ungerecht. Menschenverachtend, weil seine Regularien und Vorgaben für die Betroffenen keine Perspektive geben. Ungerecht, weil die finanzielle Ausstattung nicht ausreicht, um am normalen Leben teilzunehmen. Dabei ist die größte Ungeheuerlichkeit, dass dies nicht nur für die unmittelbar Betroffenen gilt, sondern auch für deren Kinder. Dies betrachte ich persönlich als gesellschaftspolitischen Skandal. Es müssen tiefgreifend Änderungen im gesamten System der Sozialgesetzgebung stattfinden. Änderungen dürfen nicht bei der Höhe der Beträge enden, es muss die Auswirkung auf die spätere Rente genauso berücksichtigt werden, wie Heilfürsorge, Ausbildung usw. Es gibt Alternativen.

Fragen: Axel Gödel