Es war ein Aufbruch: kämpferisch und solidarisch!

Conny Hildebrandt / Volker Fischer

Ein erster Kommentar zum Parteitag DIE LINKE in Augsburg

Über 440 Parteitagsdelegierten reisten nach Augsburg zum Europaparteitag der LINKEN, diskutierten und verabschiedeten das Europawahlprogramm für die Wahlen nächstes Jahr am 9. Juni 2024. Ebenso viele wählten anschließend auf der Vertreter*innenversammlung, die aus wahlrechtlichen Gründen gesondert stattfinden muss, die Liste der Kandidat*innen für die Europawahlen 2024.

Damit hat DIE LINKE ein Programm und Leute, die für dieses Programm stehen, einschließlich der vier  Spitzenkandidat*innen mit Martin Schirdewan, Carola Rackete, Özlem Demirel und Gerhard Trabert. Martin und Özlem stehen für die Kontinuität ihrer bisherigen Arbeit im Europaparlament, konkret für Steuer- und Finanzpolitik in Europa bzw. für europäische Sozial- und Friedenspolitik im Kampf gegen die Militarisierung. Die frühere Kapitänin (Große Fahrt) Carola Rackete steht für Migrations- und künftig auch für linke, also sozial-ökologische europäische Agrarpolitik und Gerhard Trabert wird sich für die sozialen Rechte in Europa – für die soziale Fortschrittsklausel und Ausweitung der Europäische Säule sozialer Rechte einsetzen, dafür, dass Sozialrecht in der EU zum Primärrecht und damit zum gleichrangigen Vertragsrecht wird.

Alle vier wurden zunächst von den beiden Parteivorsitzenden vorgeschlagen, dann vom Bundesausschuss der Partei – gemäß der Satzung der LINKEN – der Vertreter*innenversammlung zur Wahl empfohlen. Und nun sind sie alle vier mit großer Mehrheit in Einzelwahl gewählt. Wobei auch auf Platz drei unsere Didim Aydurmus mit einer großartigen, europapolitischen Rede, zwar unterlag, jedoch einen bemerkenswerten Achtungserfolg erzielte.

Richtig los ging der Kampf um Listenplätze mit Listenplatz 5, an dem sich insgesamt vier, darunter drei ausgesprochen starke Kandidatinnen beteiligten, die zum Teil unterschiedliche Strömungen zugerechnet wurden. Die am klarsten europapolitisch orientierte Rede von Frederike-Sophie Gronde-Brunner konnte sich leider nicht durchsetzen, nicht im Kampf um Platz 5 und auch nicht auf Platz 7 – den Plätzen zur Absicherung der Frauenquote. Emphatisch vorgetragen, zeichnet Frederikes Rede Sachkenntnis aus und darüber hinaus beschrieb sie konkrete detaillierte systematische und politische Veränderungsansätze für die notwendige Veränderung der EU. Nicht gewählt wurde auf Platz 5 Daphne Weber – ebenso mit einer starken Rede. Gewählt wurde indes auf Listenplatz 5 auch nach einer starken Rede überraschend Ines Schwerdtner, die erst vor kurzem in die LINKE eintrat. Sie trat hervor mit kritischen Beiträgen zur Partei- und ausbleibenden Strategieentwicklung und hat reichlich Erfahrungen mit öffentlichkeitswirksamen Arbeiten und Auftreten mit Jacobin Deutschland. Sie will – und das ist wichtig für die LINKE in Europa – sich europäischer Industriepolitik zuwenden. Auf Platz sechs wurde der seit Jahren europapolitisch agierende Martin Günther aus Brandenburg gewählt, der sich gegen Carsten Schatz aus Berlin durchsetzte. Carsten schaffte es am Ende doch noch auf die Liste, ebenso wie Lea Riemer aus unserem Landesverband.

Was die Themen der Auseinandersetzung betraf, so gab es diese natürlich auch ohne Sahra Wagenknecht, die – und das war wirklich erfreulich – gerade nicht der „Elefant“ im Saal war. Einige Redner*innen bemühten die Begriffe „Neustart“, „Findung“ oder „künftige Positionierung“, dennoch sollten wir festhalten, dass die Mehrzahl der Redner*innen zu einer sachorientierten Diskussion beitrugen und nicht, wie oft beklagt, im unproduktiven Schlagabtausch verhallten.

Die größten Kontroversen gab es zum Palästina-Israel-Konflikt, zur Bewertung des Terrorangriffs der  Hamas und der Ermordung von 1.200 Menschen, darunter auch Kinder und die Geiselnahme von über 200 Menschen einerseits und zur Bewertung der Bombardierung von Gaza unter Inkaufnahme der Tötung von ca. 10.000 Menschen. Auch der Vorwurf des Antisemitismus stand im Raum. Dennoch war es möglich, eine gute, ausgewogene Erklärung zum Palästina-Israel-Konflikt zu formulieren. Dass dies möglich war, ist der intensiven Arbeit des Parteivorstands zu verdanken. Diese Erklärung der LINKEN entspricht auch dem Wesen der Erklärung der Europäischen Linkspartei (EL), deren Mitglied die LINKE ja ist.

Die Kontroversen zum Europawahlprogramm hielten sich überschaubar in Grenzen und größere Differenzen zeigten sich erwartungsgemäß im Friedenskapitel (Kapitel 4 des Europawahlprogramms).  Es ging um die Bewertung der Weltlage, der Zuspitzung globaler Konflikte und hier u.a. um die Rolle der BRICS-Staaten wie auch um die Rolle der NATO sowie um die Autonomie der Europäischen Union.

Und es ging mit Blick auf den Ukraine-Krieg um die Frage der Sanktionen. Hierzu lagen eine Reihe von Änderungsanträgen vor, die jedoch gemäß dem Beschluss der Mehrheit der Delegierten – nicht behandelt werden sollten. Allerdings gab es eine Ausnahme: der Umgang mit Atomtechnik. Hierzu soll künftig jede „Kooperation“ mit Russland sanktioniert werden.

Darüber hinausgehende Differenzen waren eher nachrangig. Viele Anträge hatten vor allem ergänzenden oder besser präzisierenden Charakter dank kritischer europapolitisch fachkundiger Unterstützung, die leider viel zu wenig gewürdigt wird.

Beschlossen wurde auch ein Antrag zur Rücknahme der Schuldenbremse und dafür zur Einführung einer Vermögenssteuer von einem Prozent für Vermögen oberhalb von 1 Mio. Netto-Vermögen mit progressivem Verlauf für die Superreichen. Sie bringt mindestens 60 Mrd. Euro Einnahmen für die Länder – jedes Jahr. Und gefordert wird darin eine einmalige Vermögensabgabe, die über 20 Jahre abgezahlt werden kann und über 300 Mrd. Euro einbringen würde.

Immer wieder wurde – vor allem auch in der Rede von Janine Wissler der selbstkritische Umgang miteinander und die Erneuerung der Partei gefordert. Zum Umgang mit Sexismus und sexistischer Gewalt wurden Leitlinien beschlossen und zur Mitgliedergewinnung wurde von Neumitgliedern, darunter eine Krankenschwester, eine Gewerkschafterin und eine Campaignerin und Mitbegründerin von Seebrücke, die gerade erst selbst in Partei eingetreten sind, auf dem Parteitag eine neue Initiative zur Mitgliedergewinnung gestartet. Das Motto heißt dazu: „Eine Partei für alle“– jede Idee ist hilfreich.

Klar, dass dieser– der erste Parteitag nach dem Weggang von Wagenknecht – nicht alle Probleme bearbeiten, schon gar nicht lösen konnte. Klar war außerdem, dass sich die Medien gerne auf jeden Keim einer Auseinandersetzung stürzen würden – so wie das ZDF auf einen offensichtlich verwirrten Menschen, der konkurrierend zu Martin Schirdewan antrat und eher dafür sorgte, dass Martin mit fast 87% der Stimmen gewählt wurde.

Auch internationale Gäste waren vor Ort u.a. der Vorsitzende der Europäischen Linken Walter Baier, der in einem bemerkenswerten Grußwort die derzeitigen Möglichkeiten und Grenzen der europäischen Linken aufzeigte und auf der Grundlage solider Analyse aufzeigte, dass angesichts gegenwärtiger Entwicklungen eine starke Linke – auch aus Deutschland – in Europa gebraucht werde. Und er beschrieb die Zukunftsperspektiven einer interventionsfähigen Linken in Europa, wenn die Linksparteien in Europa konstruktiv, sachlich und mit Herz miteinander agieren: die Linke ist plural mit unterschiedlichen Strategien und voneinander abweichenden Wegen. Dennoch ist es möglich, diese Differenzen zugunsten eines gemeinsamen Kampfes für Frieden, soziale Gerechtigkeit und eine gerechte sozial-ökologische Transformation in Europa und weltweit einzusetzen. Dies sei notwendig auch angesichts des sich vollziehenden Rechtsrucks in der EU.

Was gibt es noch zu berichten? Es gab den Markt der Möglichkeiten, den Bereich, in dem sich die Gliederungen der Partei oder andere Initiativen vorstellen konnten, wie die Ökologische Plattform, Cuba si, die BAG Grundeinkommen und die BAG LINKE Christ*innen. Aber klar präsentierten sich auch die LINKE-nahe Rosa-Luxemburg.Stiftung, die Left-group im Europaparlament, die Europäische Linkspartei (EL)und transform! Europe vor Ort – letztere mit ihren Jahrbüchern von 2023 und 2022 und natürlich waren das Neue Deutschland (nd), der „Kleine Buchladen“ und der LINKE-shop mit Mediaservice auch wieder da.

Die Stimmung war gut – trotz all der zahlreichen Abstimmungen zum Europawahlprogramm bis spät in den Abend hinein. Jede und jeder wusste – hier geht es um was, um das Überleben der LINKEN und um einen ersten möglichen Aufbruch. Die Reden waren kämpferisch und gut und alles in allem ermutigend. DIE LINKE hat so viele gute Leute – das war zu sehen und zu hören. Also ein erster guter Auftakt ist gelungen. Unser Dank gilt allen, die vor und mehr noch hinter der Bühne für alles gesorgt haben – vor allem auch den Mitarbeiter*innen aus dem Karl-Liebknecht-Haus und den Leuten vor Ort. Habt Ihr gut gemacht Leute!

Also, es geht doch! Wir können das schaffen, wie auch Walter Baier das in seiner ermutigenden Ansprache sagte. Na dann wollen wir mal, wir haben das Zeug und die Leute dazu!

Und: Lasst uns diesen Moment des Aufbruchs nutzen für unseren Berliner Wahlkampf, für die Wahlwiederholung am 11. Februar 2024, wenn es u.a. auch darum geht, unsere Direktwahlkreise zu verteidigen!

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